Aus Calcars Blütezeit
Abschrift aus der Festbeilage der Calcarer Volkszeitung zur 700-Jahrfeier der Stadt Calcar im Jahre 1930
In der Geschichte der Kultur des Mittelalters nehmen die Städte eine hervorragende Stelle ein. Sie sind als die Stätten anzusehen, in denen die materielle Lebenshaltung ihrer Bewohner stetige und gedeihliche Fortschritte gemacht hat. Hierzu sind selbst die kleineren Landstädte zu rechnen, die für den weiteren Umkreis der bäuerlichen Bewohner nicht nur die Zufluchtsorte in Stunden drohender Kriegsgefahren gewesen sind, sondern denselben auch zumeist auf den Jahrmärkten usw. die besseren Erzeugnisse fortgeschrittener Handwerks- und Gewerbetätigkeit vermittelt haben.
Die ganze Gegend um Calcar war sehr wasserreich. Sie war durchflossen von einem Rheinarm mit Nebenbächen und hatte viele Wassertümpel. Mitten in diesem Gebiet, auf einer Rheininsel, baute sich die Stadt an. Noch jetzt wird sie von der Ley umflossen. Ein Kanal, der sich mitten durch das Stadtgebiet erstreckte, verband die Stadt im Mittelalter mit dem Rheine und ermöglichte so durch Schiffahrt den regen Handel und Verkehr, der der Stadt zur Blüte verhalf. Erst vor dreißig Jahren verschwand dieser Kanal gänzlich, der nur noch einen schlammigen Graben darstellte. Er wurde zugeworfen und bildet heute die Grabenstraße, eine der schönsten Straßen Calcars, von prächtigen schattigen Linden umsäumt.
Im 14. Jahrhundert erfreute sich die Stadt des besonderen Wohlwollens der Grafen und späteren Herzöge von Cleve, die auf dem Monreberge ein Schloß besaßen und dort zeitweilig ihren Wohnsitz hatten. Die Grafen Dietrich XI., Johann und Adolf I. erhoben Calcar zur Stadt, verliehen dieser manche Vorrechte gegenüber den anderen Städten des Clever Landes und schenkten ihr große Ländereien und als Eigentum alles Wasser und Land um die Stadt Calcar, eine Fläche von sehr beträchtlicher Ausdehnung, die noch heute ungefähr den Bezirk der Bürgermeisterei bildet. Im Stadtarchiv befindet sich ein Privileg vom 15. Dezember 1368, das den Bürgern Calcars das Recht der freien Wahl des Bürgermeisters, der Schöffen, Räte und sonstigen Stadtbeamten gab. Nach dem Tode Adolfs I. blieb das Schloß Monreberg Witwensitz der Gräfin Margarethe, die dort bis 1425 lebte.
Im 15. Jahrhundert, unter dem ersten Herzog von Cleve, Adolf II., begann die Blütezeit Calcars. Er verlieh der Stadt besondere Zollfreiheiten und förderte in ihr Handel und Gewerbe. Auch unter seinem Nachfolger, Herzog Johann I., blieb Calcar in besonderer Gunst. Die Mutter Johann I. lebte als Herzogin-Witwe Maria von Burgund ebenfalls auf Schloß Monreberg und zwar bis 1463. Sie war mildtätig und förderte vor allem die kirchlichen Stiftungen. Calcar bildete die Kornkammer des Landes; besaß ein großes Kornmagazin mit einer herzoglichen Rentei, wo die landesherrlichen Kornzehnten abgeliefert werden mußten. Als Gewerbe sind besonders Tuchfabrikation und Wollweberei bezeichnet. Alsdann folgte die Bierbrauerei. 1502 und 1503 gab es in Calcar nicht weniger als 42 Brauereien. In beiden Jahren wurde 1165 mal gebraut, wozu 8478 Sack Malz verwandt wurden. Von jedem Sack erhob die Stadt einen Stüber Steuer; von ihrem eigenen Bedarf brauchten die Brauer keine Abgabe zu entrichten. In den zwei Jahren brachte die Stadtaccise 180 Goldgulden, 30 Stüber ein. In derselben Zeit wurden 3929 Tonnen Bier ausgeführt, wobei von jeder Tonne ein halber Stüber Stadtsteuer entrichtet wurde.
Es gab Innungen aller Art. Die Handwerker hatten sich zu diesen Innungen vereinigt. Der Zweck dieser Innungen, von welchen ein großer Teil bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist, bestand in der Förderung des Handwerks. Sie bezweckten ferner geselliges, bürgerliches und religiös-sittliches Leben. Jede Innung hatte ihren Gildemeister und ihren Schutzheiligen und jedes Jahr einen Festtag, der aus kirchlicher und anschließend geselliger Feier bestand. Diese gute alte Sitte hat sich ebenfalls bis in die Jetztzeit fortgepflanzt. Die Statuten oder sogenannte Amtsbriefe der Innungen sind größtenteils jüngeren Datums. Abschriften befinden sich davon im städtischen Archiv und zwar folgende:
1. Der Tuch- und Wollenweber, Patronin ist die hl. Katharina, vom Jahre 1368, 1741 und 1607;
2. Der Leinweber, Patron St. Severus, vom Jahre 1557;
3. Der Brauer und Bäcker, Patron St. Stefanus, vom Jahre 1637;
4. Der Schneider, Patron St. Anna, vom Jahre 1558;
5. Der Schuhmacher und Lohgerber, Patrone St. Crispinus und Crispinianus, vom Jahre 1489;
6. Zimmerer und Maurer, Patron St. Josef, vom Jahre 1756;
7. Schmiede und Schlosser, Patron St. Eligius, vom Jahre 1602.
Diese Gilden und Innungen hatten in der Pfarrkirche St. Nicolai einen Altar oder Statuen oder Gemälde ihres Schutzheiligen.